Amerigo. Die Geschichte eines historischen Irrtums by Stefan Zweig

Amerigo. Die Geschichte eines historischen Irrtums by Stefan Zweig

Autor:Stefan Zweig
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3-596-29241-7
Herausgeber: Fischer Taschenbuch Verlag GmbH


Mächtig erhebt sich unterdessen der Ruhm Amerigo Vespuccis. Da alle noch irrten und sich verblenden ließen von dem Wahn, man habe Indien im Westen entdeckt, hat er die Wahrheit erkannt: daß dies ein Mundus Novus sei, eine neue Welt, ein anderer Kontinent. Immer hat er nur die Wahrheit berichtet: er hat nicht Gold und Edelsteine versprochen, sondern bescheiden gemeldet, die Eingeborenen erzählten zwar, man finde Gold in diesen Ländern, er aber sei wie der heilige Thomas behutsam im Glauben: die Zeit würde es lehren. Und nicht um Goldes und Geldes willen wie die andern ist er ausgefahren, sondern um der idealen Lust an der Entdeckung. Er hat nicht Menschen gemartert und Reiche zerstört wie alle die andern verbrecherischen Conquistadoren: er hat die fremden Völker als Humanist, als gelehrter Mann in ihren Sitten und Gebräuchen beobachtet und geschildert, ohne sie zu rühmen, ohne sie zu tadeln, er hat, ein weiser Schüler des Ptolemäus und der großen Philosophen, die neuen Sterne beobachtet in ihrem Lauf und die Meere und Länder durchforscht um ihrer Wunder und Geheimnisse willen. Nicht der blinde Zufall hat ihn geführt, sondern strenge mathematische und astronomische Wissenschaft – ja, er ist einer der Ihren, rühmen die Gelehrten, homo humanus, ein Humanist! Er weiß zu schreiben und weiß Latein zu schreiben, die einzige Sprache, die sie für geistige Angelegenheiten als gültig erachten; er hat die Ehre der Wissenschaft gerettet, indem er einzig ihr diente und nicht dem Gewinn und dem Geld. Jeder einzelne der zeitgenössischen Geschichtsschreiber beginnt mit einer Verbeugung, ehe er Vespuccis Namen nennt, Peter Martyr und Ramusio und Oviedo; und da es nicht mehr als ein Dutzend Gelehrte sind, die damals ihre Zeit belehren, gilt Vespucci als der größte Seefahrer seiner Zeit.

Diesen ungeheuren Nimbus innerhalb der gelehrten Welt dankt er also im letzten dem zufälligen Umstand, daß seine beiden – ach, so dünnen und anzweifelhaften – Werkchen in lateinischer Sprache, der Gelehrtensprache erschienen sind; vor allem ist es die Ausgabe der ›Cosmographiae Introductio‹, die ihm die überwältigende Autorität über alle andern gibt. Nur weil er sie als erster beschrieb, wird Vespucci von den Gelehrten, denen das Wort mehr gilt als die Tat, unbedenklich als der Entdecker dieser neuen Welt gefeiert. Als erster zieht Schoner, der Geograph, die Scheidelinie: Columbus habe bloß einige Inseln entdeckt, Vespucci aber die neue Welt. Und ein Jahrzehnt später ist es durch Nachsprechen und Nachschreiben schon Axiom geworden: Vespucci sei der Entdecker des neuen Erdteils, und nur zu Recht heiße Amerika Amerika.



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